Hier möchte ich Dich gerne zu einem Ausflug in die Genetik, Epigenetik und Sozialisation einladen und welche Auswirkungen dieses Zusammenspiel auf Gesundheit sowie Psyche hat.
Die Geschichte von Mensch und Hund ist zehntausende Jahre alt: vor ca. 40.000 Jahren schlossen sich Wölfe wahrscheinlich den umherziehenden Menschengruppen an. Als der Mensch vor 15.000 Jahren sesshaft wurde, ist das auch der ungefähre Zeitpunkt, an dem dem der Wolf zum Hund wurde. Zunächst durch Selektion, dann mit immer gezielterer Zucht wurden in den letzten 200 Jahren bestimmte körperliche und mentale Eigenschaften verstärkt und andere stark abgeschwächt. Heute gibt es über 350 anerkannte Rassen und unzählige Gen-Kombinationen, die von Pariahunden über Mischlingen bis hin zu Designerhunden reichen. Doch was bedeutet das für Dich und Deinen Hund?
Wie wichtig ist Genetik?
Je mehr über die einzelnen Genome von Hunden erkannt wird, desto verwirrender kann es für Laien werden. Daher möchte ich hier auf die wichtigsten Aspekte für die zukünftigen HundehalterInnen eingehen. Zunächst mal: Hunde stammen vom Wolf ab, aber Hunde sind keine Wölfe mehr! Dies macht sich beispielsweise beim Stoffwechsel und damit der Ernährung von Hunden bemerkbar. Wenn Menschen bestimmte Kriterien von Hunden durch gezielte Verpaarung beeinflussen wollen, so ist die Zielsetzung meist auf Aussehen oder Charakter bezogen. Ersteres bezieht sich meist auf beispielsweise Fellfarbe, Größe, Statur,.Letzteres auf den Aufgabenbereich wie etwa Begleit-, Wach-, Hütehund und manchmal wird auch für beides ein Standard formuliert. Damit die Nachkommen immer stärker dem reinrassigen Ideal entsprechen und gesicherter wird, dass die gewünschten Merkmale sich durchsetzen, werden verwandte Linien häufiger miteinander gekreuzt, nicht dem Standard entsprechende Indiviuen aussortiert und Einflüsse anderer Rassen eliminiert. Die Folgen sind beeindruckend: Clive Wyne erwähnt in seinem Buch „…und wenn es doch Liebe ist?“, dass die fast 20.000 Boxer, die im Vereinigten Königreich leben, der genetischen Varianz von sieben unterschiedlichen Tieren entsprechen. Die 10.000 britischen Möpse stellen eine genetische Population von 50 Tieren dar. Das bringt einerseits eine gewisse Vorhersehbarkeit, wie die Nachkommen aussehen werden, welche Talente sie für bestimmte Aufgaben wie Jagd oder Hundesport mitbringen und welche Charaktereigenschaften auftreten können. Andererseits übertreiben es viele Zuchtverbände und durch die enggefasste Inzucht entstehen ungesunde Wunschmerkmale sowie Erbkrankheiten. Der Tierpathologe Achim Gruber verweist in seinem Artikel „Das unterschätzte Leid“ auf eine britische Studie von 2015, die 400 genetisch bedingter Leiden von Rassehunden benennt, wovon 72% bei den 20 beliebtesten Rassen vorkommen. Der Deutsche Schäferhund führt mit 77 Erbschäden diese traurige Liste an, gefolgt von Boxer und dem Golden Retriever…
Wenn Dich eine Rasse interessiert, informiere Dich, wie das Ideal der Rasse beschrieben wird und wofür sie gezüchtet wurde. Oftmals sind diese „Rassebeschreibungen“ eher wie Arbeitszeugnisse: es lohnt sich zwischen den Zeilen zu lesen, um wirklich etwas über den Charakter zu erfahren. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick „hinter die Kulissen“ der Züchter. Es fällt auf, dass viele Arbeitsrassen, die aufgrund ihres anspruchsvollen Wesens meist nicht für den Privatgebrauch sinnvoll sind, die körperliche Resilienz und geistige Fitness wichtiger gewertet werden als optische Effekte. Das hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit, weil die Rassevielfalt gewährleisteter ist. Insofern solltest Du Dich über folgende Fragen erkundigen:
- Wie eng ist der „genetische Flaschenhals“, die Inzuchtquote, Deiner Lieblingsrasse?
- Werden Gentests gemacht, um Erbkrankheiten aus der Zuchtlinie auszuschließen?
- Wie variantenreich dürfen die Vertreter hinsichtlich Größe, Farbe etc. sein?
- Wie streng sind die (gesundheitlichen) Voraussetzungen für Elterntiere?
- Müssen die Elterntiere Leistungsnachweise bringen und wenn ja, welche?
Das ist insoweit wichtig als das Genetik derart komplex ist, dass selten nur ein Phänomen geändert wird: Fellstruktur und -farbe haben beispielsweise Auswirkungen auf Hormon- und Transmitterrezeptoren und damit auf die Verstoffwechselung von Adrenalin, Dopamin oder Cortisol und damit auch auf die Persönlichkeit des Hundes. Grundsätzlich gilt: Je mehr schwarze (Eumelin) oder rote (Phäomelanin) Pigmentierung von Nase, Lefze, Haut und Krallen, desto gesünder für den Hund! Ebenso sind auf denselben Genabschnitten auch Informationen, die Sinnesleistungen und Schutzmechanismen von Haut und Immunsystem beeinflussen. Daher lohnt sich eine Recherche über die Erbkrankheiten Deiner bevorzugten Rasse, bevor der zweite große Einflussbereich folgt: Die Epigenetik.
Was groß ist der Einfluss von Epigenetik?
Die Epigenetik beschäftigt sich mit dem Einfluss der Umwelt auf die Genetik und ist noch ein relativ neues Forschungsfeld. Für (zukünftige) HundehalterInnen ist es insoweit wichtig, weil nicht nur die „genetische Kombination“ beider Elterntiere, sondern der emotionale, psychische und physische Zustand der Mutterhündin vor, während und nach der Trächtigkeit relevant für die Entwicklung der Welpen sind. Damit kann beispielsweise die Ernährung (Schad- und Konservierungsstoffe oder hochwertige Proteine) Einfluss darauf nehmen, wie resilient der Hund später sein wird und ob bestimmte Krankheiten, die im Erbgut vorhanden sind, aktiviert werden oder nicht. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass auch traumatische Erlebnisse der Hündin wie Unfälle, Vergiftungen etc. die Gene sowohl ungeborener als auch zu säugender Welpen verändern können und damit etwa auch die emotionale Stabilität der nachfolgenden Generation negativ beeinflussen. Dies scheint einmal in Form von „ererbter Information“ über etwas möglich zu sein (etwa wenn die Hündin geschlagen wird) als auch durch Ausschüttung von Stresshormonen beispielsweise aufgrund schlechter Haltung. Damit ist Epigenetik zwar nicht Begründung für alle rassetypischen Abweichungen, aber sie kann Bedeutung für die weitere Hundeentwicklung haben. Damit ist auch klar: ein Welpe aus unbekannter Herkunft (Stichwort Wühltischwelpe, Vermehrer) aufgrund des Leids der Elterntiere und schlechten Startbedingungen ein absolutes No-Go ist!
Mal ehrlich: Eigentlich wissen das doch die meisten oder warum achten die meisten Schwangeren so auf ihre Ernährung? Ich kenne auch einige Berichte, dass Mütter in der Schwangerschaft belastende Erlebnisse wie Trauerfall oder Trennung vom Partner durch gemacht haben und die außergewöhnliche Unruhe des Neugeborenen darauf zurück führen.
Schaue also genau, wenn Du einen Zuchthund haben willst, wie es der Mutterhündin geht. Wird sie passend ernährt und in einer stressarmen Umgebung liebevoll umsorgt? Macht sie und ihre Welpen rundum gute Erfahrungen und sehen die Welt als einen freundlichen Ort? Wenn Du Dir einen Welpen aus dem Tierschutz holst, sei Dir bewusst, dass er eventuell schon „negative Informationen über die Welt“ von seiner Mutter mitbekommen hat, die Du auffangen solltest: Vielleicht war sie eine Strassenhündin, die sich vor den Menschen in Acht nehmen musste und dann von Hundefängern gepackt in einem stressigen Kennel ihre Welpen zur Welt bringen musste. Und natürlich hat auch ein erwachsener Hund aus dem Tierschutz sowohl die Erfahrung aus Mutterleib und Welpenzeit in sich, wie auch die Ergebnisse seiner Erlebnisse – und damit kommen wir zur Sozialisation.
Was genau ist Sozialisation?
Der dritte große Baustein in der Entwicklung Deines Hundes ist die Sozialisation. Hier ist endlich die Ebene, auf der HundehalterInnen und TrainerInnen normalerweise arbeiten. Vereinfacht gesagt, lernt Dein Hund während der Sozialisation seine (und Deine) Welt kennen und wie er sich darin verhalten soll. Dabei gibt es je nach Hundealter und Vorerfahrung verschiedene Phasen mit verschiedenen Prioritäten. Allen gemeinsam ist, dass sie das Individuum bestmöglich auf (unvorhergesehene) Situationen vorbereiten wollen und dafür hat die Natur die Grundausstattung in Form von Sinneswahrnehmung und-training, Körperkoordination, Kommunikationsausdruck und bewusst gesteuertes sowie instinktives Lernen und Handeln mit gegeben. Da sind Zeitfenster, in denen Welpen mit der richtigen Dosis aus Umweltreizen konfrontiert werden müssen, damit sich wichtige Gehirnareale entwickeln können und dann braucht es auch wieder Trainingseinheiten, damit „in Ruhe kommen“ gelernt wird. Hunde sind unglaublich anpassungsfähig und dennoch ist es enorm wichtig, dass die Sozialisation bei Einzug in das neue Heim strukturiert und wohldosiert (weiter) geführt wird. Mache Dir eine Liste von Dingen, die Dir wichtig im späteren Leben mit Hund sind und und lass Dich bei der Gestaltung eines Trainingsplanes dazu fachkundig beraten. Es lohnt sich, denn es geht um den Erwerb von Kompetenzen und eine positive Einstellung zu sich selbst und der Welt, mit denen Dein Hund sich seine „Geborgenheitsstruktur“ bauen kann!